Wie unser uraltes Aenismodel plötzlich eine Heimat bekam
Als ich vor dreissig Jahren in den Haushalt meiner Schwiegermutter im Spätherbst einheiratete, entdeckte ich viele alte Gegenstände, die noch immer im Gebrauch waren, wie zum Beispiel eine irdene, grosse Gugelhopfform, Mehlsieb, Backtrog, Kellen aus Kupfer, Tassen, Töpfe, Waschzuber aus Eiche und vieles mehr – was sich so einfach alles vorfindet in einem Bauernhaushalt älterer Menschen. Aber ein Gegenstand faszinierte mich ganz besonders: ein uraltes, Aenismodel! Es ist elf Zentimeter lang und fünf Zentimeter breit. Es zeigt eine Madonna mit Kind. Das Model ist aus einem besonders feinen, hellen Ton gearbeitet. Ich habe mich damals oft gefragt, wie dieses religiöse Model gerade in diese, doch protestantische Familie kam. Das Bild des Models hat mich total fasziniert. Eines wusste ich sicher, dass es sich hier um einen sehr alten Gegenstand handelte. Auch für unsere Kinder war es jedes Jahr ein ganz besonderes Fest, wenn sie mit all den alten und neuen Modeln hantieren durften. Da musste immer Papi helfen, denn der machte es viel schöner und exakter als die Mutter. Jedes Mal gab es ein Geschrei, wenn Paps den „Abgang“ ass, denn er fand, dass man diesen Teig dann wenigstens nicht mehr backen müsse!
Ganz unerwartet kam ich durch eine Freundin in Basel der Geschichte unseres Models auf die Spur! Für einen Konditor steht sie jedes Jahr an der Herbstmesse im November am Stand und verkauft feine Spezialitäten. Viele Jahre schon schickt sie uns jeweils einen „süssen“ Gruss und bittet uns immer, sie doch auch mal während der Messezeit zu besuchen. Eine ganz besondere Attraktion sei der „Häfelimarkt“ mit vielem Geschirr, sogar aus dem nahen Elsass. Nun war es letztes Jahr soweit. Mein Mann und ich schlendern durch die vielen, schon vorweihnachtlich geschmückten Marktstände und betrachten mit grossem Interesse die praktischen und zum Teil auch kitschigen Auslagen. Ein Marktstand fasziniert mich besonders. Es ist der Aenisbrötli- und Aenismodel-Verkaufsstand. Da hängen sie, die Replikkate der alten und neuen Model in vielen Variationen: oval, rund, eckig rautenförmig, zu jeder Gelegenheit und Jahreszeit passend. Doch, ich zupfe meinen Mann ganz aufgeregt am Arm, dort hängt ja unsere, uns sehr vertraute und geliebte Madonna mit Kind – genau so wiedergegeben, wie wir sie kennen. Ja, sie entspricht ganz genau unserem alten Original.
Welch unverhofftes Glück! Als ich den Standbesitzer Linus Feller, auf dieses Model anspreche, kann er aus dem Vollen schöpfen! Er hat ein Buch über Aenismodel geschrieben und erzählt uns folgendes: Unser Madonnenmodel sei ca. 300 jährig. Er selber kenne nur ein einziges, gleiches Stück in Genf (davon hat er auch seine Replikkate gefertigt). Das Aenismodel sei in der Modellierwerkstatt Stüdlin in Lohn, Schaffhausen entstanden. Lohn sei von alters her für die besonders feinen Tonvorkommen bekannt. Um Material zu sparen, höhlte man die Hinterseite der Model aus und verstärkte den Rand. Um aber die Model stabil zu machen, liess man eine Mittelleiste stehen. Besonders sei das typische Dreiblatt am unteren Rand der echten, alten Stüdlin-Model. Diese seien gesuchte Sammlerstücke und ob wir nicht noch einige davon hätten? Nun hat also, unsere geheimnisvolle Mutter mit Kind ganz plötzlich eine Heimat bekommen. Sie ist ein uralter, seit Generationen immer weiter vererbter Gegenstand.
Nun ist wieder Advents- und Weihnachtszeit. Zeit von Guetzliduft – Zeit der Besinnung – Zeit der Freude – Zeit der Einsamkeit – Zeit des Heimwehs – Zeit der Traditionen – Zeit der Stille – Zeit der Hektik – Zeit der Liebe – Zeit der Einkehr – Zeit der Weihnachtslieder – Zeit der Kachelöfen – Zeit der Dunkelheit – Zeit des Kerzenlichts – Zeit der Tränen – Zeit der Engel – Zeit des Kitsches – Zeit der Aenismodel! Unser Model ist Jahrhunderte alt und bereitet immer noch Freude! Unsere schönen Aenisbrötli erinnern an die Geburt Jesu, die Jahr für Jahr, seit Jahrhunderten an Weihnachten gefeiert wird. Ich frage mich: was haben meine Vorfahren(innen) für Gedanken gehegt, wenn sie mit unseren alten Formen in der Weihnachtszeit gebacken haben? War es eine tiefe Weihnachtsfreude, Frust, Stress, Faszination, Kälte oder gar materielle Not, die in den vorigen Jahrhunderten geherrscht hat? Zudem ist dieser Gegenstand zerbrechlich und wie hat er trotzdem all diese Zeit unbeschadet überstanden?
Fazit
Unser uraltes Aenismodel „Madonna mit Kind“ fasziniert – doch wichtig ist, dass wir selber die Freude über die Geburt Jesu, in unseren Herzen verspüren, denn dies gibt uns Kraft und den nötigen Mut gegen den rauen Wind – gerade auch im bäuerlichen Alltag!