War es ein Engel?
Es ist Sonntag – der Tag der ersten Krippenausstellung in unserer Scheune und Wöschhüsli 2010. Es sind bereits einige Gäste da und auf manchem harten Männergesicht erscheint ein zartes Lächeln, wenn er die Krippen in Kleinformat anschaut. Die Frauen sind sehr interessiert an der Herkunft der Krippen aus aller Welt und die Kinder ziehen ihre Mütter ungeduldig am Arm und möchten zum nächsten Schaukasten eilen. Es macht mich glücklich, wenn ich den vielen Gesprächen und positiven Rückmeldungen zuhören kann.
Ganz still und fast unbemerkt steht ein etwas verwahrloster Mann da und redet still für sich und ist ganz in sich gekehrt. Ich begrüsse ihn und komme ins Gespräch. Er erzählt, dass er am Samstag im Zug gefahren sei und aus Langeweile habe er die NZZ (Neue Zürich Zeitung) durchblättert. Ihm sei die abgebildete, gerollte Papierkrippe sofort aufgefallen wie auch die Überschrift: „Ein Schlüsselchen als Jesusfigur“ oder weiter „eine ungewöhnliche Weihnachtskrippen-Sammlung aus fünf Kontinenten in Ossingen.“ Da muss ich hin, habe er sich gedacht und nun steht er vor der abgebildeten Papierkrippe aus den Philippinen. Er sagt weiter, dass er aus der Innerschweiz komme und vom Bahnhof her den weiten Weg zu Fuss gekommen sei.
Ich freue mich sehr über diesen besonderen Besuch und überreiche ihm ein Pack selbstgebackene Guetzli. Irgendwie kommt mir dieser Mensch märchenhaft vor – war es ein Engel der testen wollte, ob wir auch ein offenes Herz und Türe für andere haben?
Lydia Flachsmann-Baumgartner