Die unvollendete Krippe
Meine Leidenschaft ist es, Krippen und kleinste Minikrippen zu sammeln. Es sind Darstellungen in Nussschalen, Mohnkapseln, in einem Halbedelstein-Ei, in einem Milchkrüglein, solche aus Wachs, Zinn, Spitzen, Papierscherenschnitte, Glas, Holz, Ton, Modelliermasse, usw. Ja, es kann schon sein, dass einige an die Grenze von Kitsch gehen, doch die vielen Krippen aus verschiedensten Materialien aus aller Herren Länder erfreuen mich jedes Jahr wieder aufs Neue.
Aber an einer Krippe hängt mein Herz ganz besonders. Lassen Sie mich die Entstehung dieser für mich wertvollen Kostbarkeit erzählen:
Unsere Jüngste ist in der 4. Klasse. Es ist Vorweihnachtszeit und die Lehrerin beschliesst, dass jedes Kind eine einfache, kleine Krippe aus Ton herstellen darf. Die Schüler stehen unter Zeitdruck und so sollte die Krippe an einem Morgen vollendet werden. Christa hat geschickte Hände. Sie konnte schon im Kindergartenalter komplizierte Zöpfe aus Zopfteig flechten. Sie ist aber auch ein exaktes Kind, das eher langsam und genau arbeitet. Nun modelliert sie mit Eifer. Das Kunstwerk besteht aus dem Jesuskind in einer Krippe als zentrale Figur, die daneben stehende Maria ist einfach, aber doch mit einer gewissen Ausstrahlung, wie es sich einer Gottesmutter geziemt. Das Christkind wird von einem Esel warm gehalten. Die drei Figuren stehen in einem symbolisierten Stall. Die Tonkrippe wird gebrannt und vor Weihnachten dürfen die Kinder die Krippe als Geschenk heim nehmen. Unsere Tochter weint, als sie uns das Geschenk übergibt und sagt: „Ich habe gemerkt, dass ich mit meiner Arbeit nicht fertig werde, aber der Esel war mir einfach wichtiger als der Josef!
Und noch etwas Schlimmes ist passiert: dem Eseli ist beim Brennen ein Beinchen abgebrochen. Ich habe es wieder geflickt, doch ich bin deswegen sehr traurig!“ So steht nun die kleine Krippe Jahr für Jahr da, ohne Josef aber dafür mit dem kleinen Esel mit dem geleimten Bein. Es ist als wollte er sich jeweils dafür entschuldigen, dass er wichtiger war, als der Vater des Christkindes. Christa ist nun 30 Jahre alt und wohnt im Ausland – aber der Anblick ihres einmaligen schönen Geschenkes ist für mich wie ein Augenzwinkern mit Gruss aus der Ferne von ihr: „Mami und Papi denkt an den Esel!“ Eswar ein „Esel“ der Jesu beim Einritt in Jerusalem als Transportmittel diente und ich denke, es braucht ihn „bildlich“ gesprochen einfach oft auch im Alltag – oder wie Albert Einstein es einmal formulierte: „Gott schuf den Esel und gab ihm ein dickes Fell!“
Darum… Es ist so manches und mancher im wirklichen Leben nicht ganz vollkommen und vollendet – entfaltet aber doch auf seine Art eine ausstrahlende, eigene und innere Schönheit!
Lydia Flachsmann-Baumgartner