Der Fingerabdruck
Aus dem Tagebuch einer Baeuerin – 1. Advent 2004
Nun haben wir ihn hinter uns gebracht, diesen Adventsmärt – es war ein grosser Aufwand und doch hat es manche schöne und unvergessliche Begegnung gegeben. Sind die Menschen in der Vorfreude auf Weihnachten wohl zugänglicher? Unser altes, renoviertes Wöschhüsli hat sich mit Glühwein und Kerzenduft gemütlich gemacht. In einer Ecke steht ein eintüriger, tanniger Schrank geschmückt mit ganz verschiedenen, neuen Anismodeln.
Viele hausgemachte Sachen warten auf einen Käufer, so auch Kornkreisbrote, Birrewegge, Wygueteli und vieles mehr. An einem Ständer hangen Blusen, nicht mehr die neusten Modelle, aber nur einmal getragen. Eine verstorbene Frau hinterliess 150 Blusen und ebenso fünf Schränke voller Kleider. Daneben auf Harassen, sind neue Schuhe ausgestellt – ich habe sie aus einer Liquidation erhalten und verkaufe sie, wie die Blusen zu Gunsten des Kinderhilfswerkes Camaquito in Kuba. Eine Bank an der Wand lädt zum Verweilen ein. Ein gratis ausgeschenkter Glühwein und ein Süssmostpunsch tragen zur guten Atmosphäre bei. Kleine Silbersterne liegen verstreut auf dem Teppich, damit sich die Besucher wie im „Himmel“ fühlen sollen.
Sicher werden Sie sich fragen, warum das Thema „Fingerabdruck“ aktuell ist oder war.
Im Vorfeld des Christchindlimärts habe ich mit unseren 300-jährigen Aenismodeln schöne Aenisguetzli gebacken. Da braucht es genaues Abwägen und ein sorgfältiges Arbeiten, damit die Aenisbrötli ja exakt gearbeitet sind und vor allem, dass auch schöne „Bödeli“ entstehen, worauf geschulte Hausfrauen besonders blicken. Nun hatte ich ein ganzes Blech mit dem alten Model Madonna mit Kind gebacken. Es war eine Freude. Nun betritt mein Mann die Küche, drückt mit dem Daumen in die gebackene Madonna und will wissen, ob diese schon gebacken seinen. Nun liegt sie da, die Dame mit dem eingedrückten Bauch. Tränen schiessen mir ins Gesicht – ich bin richtig sauer. Natürlich entschuldigt sich mein „Angetrauter“, ist aber äusserst erstaunt über meine heftige Reaktion. Diese kann ich mir im Laufe des Nachmittags erklären. In jungen Jahren hatte ich einen Freund. Wir besuchten ein Fest in einer Festhütte. Wahrscheinlich wollte er mir imponieren und drückte seinen Daumen auf eine ganze Reihe aufgestellter Cremeschnitten. Er bewirkte das Gegenteil – vor Scham wäre ich gerne im Boden verschwunden. Ich kann nur soviel sagen: Er war mein Freund! Jetzt verstand ich auch meine Emotionen und den Ärger, denn alte Geschichten sind im Unterbewusstsein ein Leben lang gespeichert.
Fazit
Sicher ist er keine Katastrophe, dieser Fingerabdruck. Doch dieses Erlebnis hat mich dazu geführt, dass ich mehr über diesen nachdenke. Ich kam zum Schluss, dass wir wie ein Fingerabdruck Gottes sind, alle individuell und einzigartig. Keiner von den Milliarden Menschen auf der Erde hat den gleichen Fingerabdruck, wirklich ein Wunder! Und mehr muss ich staunen, wenn ich all den Menschen begegne, mit einer eigenen Persönlichkeit, einem einmaligen Gesicht – für mich steht fest: Durch diese Einmaligkeit hat uns Gott seinen persönlichen Fingerabdruck aufgesetzt!
Lydia Flachsmann-Baumgartner